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Ein Team von Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) führt am 19. September 2024 eine Rettungsaktion im Mittelmeer durch.   © 2024 Mohamad Cheblak/Médecins Sans Frontières

(Mailand) – Die Europäische Union, ihre Mitgliedsstaaten und die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex sollten der Rettung von Menschenleben auf See Priorität einräumen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Multimedia-Essay.

Allein in den letzten drei Monaten sind mehr als 400 Menschen im Mittelmeer gestorben oder als vermisst gemeldet worden. Im gleichen Zeitraum wurden mehr als 3.800 Menschen von libyschen Sicherheitskräften mit Unterstützung der EU unter Zwang nach Libyen zurückgebracht.

„Die EU-Politik einer Abschreckung durch Ertrinken lassen ist abscheulich“, sagte Judith Sunderland, stellvertretende Direktorin für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Die EU sollte sich jetzt mehr denn je auf ihre Grundwerte und unsere kollektive Menschlichkeit zurückbesinnen, indem sie die Suche und Rettung auf See und die Ausschiffung an sicheren Orten sicherstellt.“

In dem Essay „Ein Schiff für die Menschlichkeit“ berichtet eine Person aus erster Hand über eine der letzten Missionen der Geo Barents, dem Rettungsschiff der humanitären Organisation Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF), im September 2024. In zwei Einsätzen rettete das MSF-Team 206 Menschen, hauptsächlich aus Äthiopien, Eritrea und Syrien – und das, obwohl die Crew von einem libyschen Patrouillenboot bei der Rettungsaktion bedrängt wurde, das sogar drohte, das Feuer zu eröffnen. Die italienischen Behörden ordneten an, die Geo Barents 60 Tage lang im Hafen festzusetzen, unter anderem weil die Crew die Anweisungen der libyschen Behörden nicht befolgt hätte.

Im Dezember kündigte Ärzte ohne Grenzen an, die Geo Barents nicht länger einzusetzen. Als Begründung nannte die Organisation italienische Gesetze und Richtlinien, darunter die Anweisung, die geretteten Menschen in weit entfernten Häfen auszuschiffen. Diese Vorgaben würden es „unmöglich machen, mit dem derzeitigen Einsatzmodell fortzufahren“. Die Organisation erklärte, sie werde so bald wie möglich wieder Such- und Rettungseinsätze im Mittelmeer aufnehmen.

Ausführliche Interviews mit 11 Überlebenden an Bord der Geo Barents bestätigten die brutale Behandlung von Migrant*innen und Asylsuchenden in Libyen und die verheerenden Folgen der Unterstützung der libyschen Küstenwache durch Italien und die EU. Alle Befragten hatten in nominell staatlich betriebenen libyschen Hafteinrichtungen oder in der Gefangenschaft von Schleppern Misshandlungen erlebt, darunter Erpressung, Zwangsarbeit, Folter und Vergewaltigung. Viele der Befragten waren mehr als einmal inhaftiert worden, nachdem sie auf See von libyschen und tunesischen Streitkräften aufgegriffen worden waren.

Die EU hat sich weitgehend ihrer Verantwortung entzogen, die Suche und Rettung von Menschen im Mittelmeer sicherzustellen. Trotz umfassender Beweise für die grausame Inhaftierung und Misshandlung von Migrant*innen in Libyen unterstützt die EU die Bemühungen der libyschen Streitkräfte, Boote zu lokalisieren und Menschen zurückzuholen, vor allem mithilfe der Luftüberwachung durch Frontex über dem zentralen Mittelmeer. Sie überträgt ihr rechteverletzendes Modell der Zusammenarbeit mit Libyen nun auch auf andere Länder wie Tunesien und den Libanon, wo Menschen misshandelt werden und der Gefahr ausgesetzt sind, von dort weiter abgeschoben zu werden, selbst wenn ihnen in ihrem Herkunftsland noch mehr Gewalt droht.

In den letzten zehn Jahren sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration mehr als 31.300 Menschen im Mittelmeer ums Leben gekommen oder als vermisst gemeldet worden. Allein im Jahr 2024 starben mindestens 2.300 Menschen oder gelten als vermisst. Mit 309 Todes- oder Vermisstenanzeigen war der Dezember der tödlichste Monat des vergangenen Jahres. Seit Anfang 2025 sind fast 100 Menschen, darunter 8 Kinder, auf See verschwunden.

Im Oktober 2024 rief Human Rights Watch die Kampagne #MitMenschlichkeit ins Leben und forderte Frontex auf, konkrete Schritte zu unternehmen, um ihre Technologie und ihr Fachwissen für die Rettung von Menschenleben einzusetzen. Die Agentur sollte sicherstellen, dass der Standort von Booten in Seenot, die von Frontex-Flugzeugen gesichtet wurden, systematisch an nichtstaatliche Rettungsschiffe in dem Gebiet übermittelt wird und dass häufiger Notfallmeldungen auf der Grundlage einer breiten Definition von „Seenot“ ausgegeben werden. Frontex-Flugzeuge sollten zudem Notsituationen überwachen und bei Bedarf Hilfe leisten.

„Die Menschen, die sich auf diese gefährliche Reise begeben, fliehen vor Not und Missbrauch. Gleichzeitig gehen sie aber auch einen Schritt in Richtung einer Zukunft, die sie sich aufbauen wollen“, sagte Sunderland. „Wenn man ihnen eine echte Chance gibt, werden die meisten von denen, die hier ankommen und bleiben, sich selbst, ihren Familien und ihren neuen Gemeinden helfen.“ 

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